Integration
Was bedeutet Intergation?
Rede von Prof. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin für Integration im Bundeskanzleramt Stadtentwicklung als Integrationspolitik
Wie gelingt Integration? Und wie kann man dazu beitragen, dass sie überall gelingt? Diese Frage beschäftigt nicht nur die Politik, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsagenturen, der Sportvereine, der medizinischen Berufe und viele andere mehr. Integration geht uns alle an. Sie ist eine zentrale Zukunftsaufgabe unserer Gesellschaft.
Schon heute haben 15,6 Mio. Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund, das heißt, sie sind selbst zugewandert oder haben mindestens einen zugewanderten Elternteil. 8,3 Mio. besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland ist in den letzten Jahren nicht gestiegen. Immer mehr von ihnen sind aber Angehörige eines anderen EU-Staates. In den östlichen Bundesländern leben nur 4% der Menschen mit Migrationshintergrund, in den westlichen Bundesländern und Berlin 96%. In den Großstädten haben im Durchschnitt 27% der Menschen einen Migrationshintergrund. In einigen Städten kommt bereits die Mehrzahl der Kinder aus Familien mit mindestens einem zugewanderten Elternteil, so in Frankfurt/Main (67%) aber auch zum Beispiel in Augsburg (62%). Unsere Gesellschaft wird durch eine Vielzahl an Lebensstilen geprägt. Durch die Zuwanderung hat auch die kulturelle Vielfalt zugenommen. Was heißt das für das Zusammenleben vor Ort? Wie lässt sich ein friedliches und gedeihliches Miteinander gestalten, das dem Einzelnen ausreichende Entfaltungsmöglichkeiten bietet? Ziel muss sein, dass jeder die Chance erhält, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Sei es in der Schule, am Arbeitmarkt oder im Verein.
Der Kommune kommt dabei eine besondere Rolle zu. Integration findet in besonderem Maße direkt vor Ort statt. Der Wohnort, der Stadtteil, die Nachbarschaft, Kindergärten, Schulen, Jugendeinrichtungen, Sportvereine und Verbände, aber auch die Anlaufstellen der öffentlichen Verwaltung sind die Orte, an denen Integration konkret wird. Hier entscheidet sich jeden Tag, ob Schulabschlüsse erreicht werden, ob Arbeit gefunden wird, ob Freundschaften entstehen und ob nachbarschaftliche Netzwerke aufgebaut werden. All dies sind Grundbedingungen für Integration. Gesellschaftliche Teilhabe, aber auch Vertrauen, Wertschätzung und Anerkennung sind das Fundament für ein gutes Miteinander vor Ort. Doch wie sollen die Kommunen diese Herausforderung bewältigen angesichts der schwierigen Haushaltslage? Und wie sollen wir mit Quartieren umgehen, in denen ein hoher Anteil von Migranten lebt und die häufig soziale Brennpunkte sind?
Zunächst ist festzuhalten, dass der überwiegende Teil der Menschen mit Migrationshintergrund nicht in ethnisch segregierten Vierteln lebt. Mehr als die Hälfte der Migranten lebt im ländlichen Raum und in kleinen und mittleren Städten. Ihre berufliche Situation ist dort in der Regel besser, auch der Anteil von Migranten ohne Berufsabschluss ist in den kleineren Gemeinden in der Regel deutlich geringer als in Großstädten, und der Anteil von Erwerbstätigen liegt zugleich höher. Offensichtlich ermöglichen die stärker individuell strukturierten Beziehungen in kleineren Gemeinden bessere Ausbildungsplatzund Erwerbschancen auch für Zugewanderte und ihre Kinder. Demzufolge sind Migranten in ländlichen Regionen seltener von Armut betroffen.
In vielen Großstädten gibt es jedoch Quartiere, die durch eine hohe Zahl von Zuwanderern und schwierige Lebenslagen geprägt sind. Hier überschneiden sich die Konzentration von Zuwanderern und soziale Probleme, von denen dort auch die Einheimischen betroffen sind. Gerade das Zusammentreffen von ethnischer und sozialer Segregation stellt die zentrale
Herausforderung für die Integrationspolitik dar. Dabei sind die Quartiere mit einem hohen Anteil von Migranten in den meisten Fällen nicht durch eine Zuwanderergruppe geprägt, sondern durch eine große ethnische Vielfalt.
Im Nationalen Integrationsplan hat die Arbeitsgruppe „Integration vor Ort unterstützen“ darauf aufmerksam gemacht, dass die Konzentration von Zuwanderern in „Migrantenvierteln“ nicht zwangsläufig zu mangelnder Integration führt. Vielmehr kann und muss Integration auch unter den Bedingungen von Segregation angestrebt und erreicht werden. Dies gilt umso mehr, als das Leitbild ethnisch gemischter Quartiere, das von vielen Kommunen, Wohnungsbaugesellschaften und auch Politikern favorisiert wird, häufig längst umgesetzt ist.
In Städten leben Zuwanderer besonders häufig in Altbauquartieren und in Großsiedlungen. Dabei haben sich die Migranten diesen Wohnort nicht immer selbst ausgesucht. Vielmehr spielen Belegungsstrategien von Wohnungsanbietern und die soziale Situation vieler Zuwanderer eine Rolle. Weil sie häufig nicht in der Lage sind, Wohnungen in guten Wohnlagen zu bekommen, konzentrieren sie zudem ihre Wohnungssuche auf Wohnungsbaugesellschaften und Hinweise von Bekannten und Verwandten und wohnen auch dadurch häufiger in Wohnquartieren, die bei sozial besser gestellten Mietern weniger nachgefragt sind. Auch Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt spielt eine Rolle. Obwohl Zuwanderer häufiger in den unattraktiveren Quartieren anzutreffen sind, zahlen sie überdurchschnittlich hohe Mieten. Zwar belegen Studien, dass Zuwanderer ein wachsendes Interesse haben, Wohneigentum zu bilden und in die von Einfamilien- und Reihenhäusern geprägten vorstädtischen Siedlungsgebiete zu ziehen. Dennoch werden sich die Mechanismen auf dem Wohnungsmarkt nicht kurzfristig ändern. Das heißt, wir werden auch weiterhin Wohngebiete mit hoher Segregation haben. Dieser Herausforderung müssen wir uns auch weiterhin stellen.
Diese Situation führt nachweislich zur Verschlechterung der Bildungschancen und damit schlechteren Partizipationschancen. Zu diesem Ergebnis kommt auch die vertiefte Bilanzierung „Integration vor Ort“ im Ersten Fortschrittsbericht zum Nationalen Integrationsplan. Hier heißt es dazu: „Sozialräumliche und schulische Segregation bilden eine Barriere für die Bildungsentwicklung, unter der insbesondere Migrantinnen und Migranten leiden“. Integration trotz Segregation ist also nur möglich, wenn sich Integrationspolitik darauf konzentriert, die benachteiligenden Wirkungen der Segregation zu mindern oder auszugleichen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds im Jahr 2009 das Bundesprogramm „Lernen vor Ort“ aufgelegt, das derzeit in Kooperation mit 26 Stiftungen in 40 Kommunen durchgeführt wird. Das Programm kann einen entscheidenden Beitrag zur Erhöhung der Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien leisten.
Aber auch in den Kommunen bestehen vielfältige Handlungsmöglichkeiten. Viele Kommunen haben Integrationspolitik zur Chefsache gemacht oder eigene Integrationsämter eingerichtet. Integration muss in den Kommunen als Querschnittsaufgabe umgesetzt werden, denn die integrationspolitischen Herausforderungen und die Notwendigkeit einer interkulturellen Ausrichtung kommunalen Handelns beziehen sich auf alle Handlungsfelder. Deswegen haben viele Kommunen Integrationskonzepte zur systematischen Steuerung erarbeitet und Monitoringverfahren zur Messung der Wirkungen und Erfolge integrationspolitischer Strategien auf den Weg gebracht.
Besondere Bedeutung wird in den Kommunen dem sozialräumlichen Ansatz beigemessen, da sich Erfolge und Probleme der Integration am deutlichsten in den Orts- und Stadtteilen niederschlagen. Wichtig ist, dass die Maßnahmen auf Stadtteilebene in die strategischen Integrationskonzepte eingebunden sind. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung führt zusammen mit den Ländern und Kommunen das Bund-Länder-Programm Soziale Stadt durch, das in den Kommunen auch eine wachsende Bedeutung bei der Umsetzung integrationspolitischer Maßnahmen hat.
Die Städte und Gemeinden haben sich in den vergangenen Jahren beispielhaft der Integrationspolitik zugewandt. Großes Engagement haben auch die Kommunalen Spitzenverbände und die Länder gezeigt. In Zukunft wird es weitere Themen geben, die bisher noch nicht in der nötigen Breite angegangen wurden. In den öffentlichen Verwaltungen und städtischen Betrieben sind bis heute Menschen aus Zuwandererfamilien unterrepräsentiert, vor allem in höheren Funktionen. Viele Kommunen haben daher begonnen, für die Vergabe von Ausbildungsplätzen gezielt Jugendliche aus Zuwandererfamilien anzusprechen und vermehrt Migranten einzustellen. Dafür müssen spezielle Fähigkeiten – z.B. Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz – in den Einstellungsverfahren berücksichtigt werden. Die verstärkte Einstellung von Personen mit Migrationshintergrund haben sich Bund, Länder und Kommunen bereits im Nationalen Integrationsplan vorgenommen. An diesem Ziel werden wir festhalten.
Die Regeldienste in den Kommunen müssen dahingehend überprüft werden, ob sie alle Bevölkerungsgruppen in ausreichendem Maße erreichen. Integrationspolitische Maßnahmen wurden in der Vergangenheit zu oft anhand von Modellprojekten finanziert, die aber nach Ablauf der Projektphase nicht mehr finanziert werden können. Zu selten ist es gelungen, Modellprojekte in die Regelfinanzierung zu übernehmen. Die integrationspolitisch wichtigen Aufgaben müssen jedoch von den Regeldiensten übernommen und diese dafür interkulturell geöffnet werden. Bei der wachsenden Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund müssen sich Bund, Länder und Kommunen damit befassen, wie neue Aufgaben dauerhaft und zuverlässig geleistet werden können und erfolgreich erprobte Modelle fest in den Strukturen verankert werden. Das ist nicht immer eine Frage des Geldes, sondern oft eine Frage struktureller Veränderungen.
Integration gelingt nur gemeinsam. Besonders wichtig ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Migrantinnen und Migranten, mit ihren Organisationen, mit Kirchen, Vereinen und Stiftungen, aber auch der föderalen Ebenen untereinander. Wir können die gesetzten Ziele nur erreichen, wenn alle an einem Strang ziehen. Seit einigen Jahren wird zunehmend erkannt, dass Migranten viele Potenziale und eine große Leistungsbereitschaft haben. Dass Integration sich auch ökonomisch rechnet, hat erst jüngst eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft gezeigt. Vielfalt ist eine Chance! Wenn diese Botschaften noch stärker in den Blick gerückt wird, lässt sich auch die Integrationspolitik vor Ort erfolgreicher gestalten.